08.12.2011

Fundstück: "Lonely Sailing in the DDR"




Wie jetzt? Einsame junge Seglerin versenkt schnittigen Holzdrachen und lacht sich kaputt dabei? "Lonely Sailing in the DDR" - Urlaubsaufnahme oder Segel-Slapstick? Macht zumindest neugierig. Woher kommt dieser Filmschnipsel mit dem weißen Uralt-Drachen und wer ist die segelnde Blondine mit der Rockermähne...?

Flimplakat "Die Alleinseglerin"
Der einzige Hinweis ganz am Ende des Streifens: "DEFA Studio für Spielfilme DDR 1987".

Grübel grübel, da war doch mal was... Richtig! Die resolute Segelfrau ist "Die Alleinseglerin" und so auch der Titel des Frauen-und Gegenwartsfilms aus der späten DDR nach dem gleichnamigen 1980 erschienenen Roman von Christine Wolter.

Der Film selbst (Regie Herrmann Zschoche) war eher Geheimtipp als Publikumsmagnet, zumal es sich mit der Sozialkritik an der deutschen demokratischen DDR kurze Zeit nach Erscheinen sowieso bald erledigt hatte...

"Die Alleinseglerin" ist eine Selbstfindungsgeschichte um Mehrfachbelastung und unbefriedigende Beziehungen, wie sie auch heute noch tausendfach passieren. Die Segelszene mit dem geerbten Drachen ist die finale Schlüsselszene des Films, frei nach dem Motto: "Wer allein durchs Leben segelt, kann kaum vermeiden, gute Vorhaben in den Sand zu setzen..." (meint zumindest Progress-Filmverleih).

MONA LISE mit Tina Powileit (r.)
Die flotte Protagonistin auf der Suche nach sich selbst wird gespielt von Christina "Tina" Powileit. Diese hatte im wahren Leben eigentlich weder mit der DDR-Segelszene noch mit der ostdeutschen Filmlandschaft groß was am Hut. Dennoch stand sie Mitte der 80er Jahre im ostzonalen Rampenlicht und zwar als Drummerin in der DDR-Frauen-Rockformation MONA LISE, wodurch sie vielen als die erste weibliche Schlagzeugerin der DDR gilt.

Sogar Udo Lindenberg hätte die „Mona Lises“ 1984 gern als Vorband mit auf Tour genommen, was jedoch von der Künstleragentur der DDR abgelehnt wurde. Tina Powileit sitzt auch 30 Jahre später immer noch am Schlagzeug - sogar manchmal hier im Norden (siehe Interview). Die Titelrolle in der "Alleinseglerin" war ihr erster und einziger Ausflug vor die Kamera.

Die weitere Besetzung des DEFA-Streifens war ebenfalls ganz interessant: So wird u.a. die beste (Film)Freundin Verena von Johanna Schall gespielt (Enkelin von Bertolt Brecht), die von 2002-2007 als Schauspieldirektorin am Rostocker Volkstheater tätig war (ihr lesenswerter Blog "Theaterliebe" ist übrigens genau so lange am Netz wie RostockSailing ;-) Neben vielen anderen hat u.a. auch Fred Delmare bei der "Alleinseglerin" mitgemischt und die Filmmusik wiederum stammt von niemand Geringerem als Guenther Fischer... Die Uraufführung des Films fand am 2. Juli 1987 im Berliner Kino International statt.

Bleibt die Frage, ob Tina außer Schlagzeugspielen eventuell auch "richtig segeln" kann?! Die Handgriffe im Film jedenfalls sitzen super (für's erste Mal wohlgemerkt!), schön lässt sie in der Wende die Genua back stehen und der Blick geht ständig ins Segel (so wie sich das gehört). Irgendwie wirken die Manöver recht authentisch und nicht so angestrengt oder künstlich einstudiert wie man es sonst so oft in Filmen sieht, in denen das Segelklischee strapaziert wird.

Stammt sie tatsächlich aus einer Segelfamilie oder hatte sie einfach nur einen guten Mentor? Interessant wär auch mal das "Making Of" der Einstellung mit dem gesunkenen Boot zu sehen. Und was wohl aus dem Drachen mit der Segelnummmer '9' geworden ist? Dass der Dampfer mit den Baumwollsegeln bei der ersten leichten Grundberührung nun unbedingt gleich auf Tauchstation gehen musste - naja ... war wohl eher dem Drehbuch geschuldet.

Die Segelszenen der "Alleinseglerin" übrigens sollen im Film zwar auf der Müritz spielen, wurden aber auf dem Scharmützelsee gedreht.

So; das sollte für's erste reichen zum Thema "Segelkultur im ostdeutschen Kino". Wer sich jetzt noch intensiver mit dem Frauenbild im real existierenden Sozialismus der späten DDR auseinandersetzen möchte, dem sei dieser Film ans Herz gelegt.

Allen anderen zumindest viel Spaß mit dem obigen Ausschnitt!


--

PS: Liebe Tina, falls Du das hier liest und mal wieder Lust auf Segeln bekommst, dann melde Dich doch einfach hier - da sollte sich sicherlich was machen lassen...  



;o)


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Dieser Beitrag wurde am 09.12. beim Segelreporter verlinkt.
 

5 Kommentare:

  1. Wo gräbst Du so etwas immer aus? :-)

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  2. so eine entspannte Mitseglerin wünsche ich mir auch ....

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  3. Das Segelboot war die "Johannes R. Becher" und wurde von einem erfahrenen Scharmützelseesegler (und-anwohner) gesteuert.

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    1. Liebe/r Anonymschreiber/in, vielen Dank für diesen Hinweis, sehr interessant! Falls es noch mehr Hintergrundinfos oder gar alte Fotos von dem Boot (und/oder dem erfahrenen Scharmützelsesegler) gibt - wir freuen uns immer über Post! Dank und Gruß, Martin

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    2. Na ja nicht ganz richtig. Der Drachen für die Segelszenen war die GO14 "Vineta", der ehemalige Drachen von Johannes R. Becher. Die Landszenen spiele wohl die GO9, der Drachen um den es auch im Buch geht und dessen Erstbesitzer wohl der Vater von Christine Wolter, der Autorin der Buchvorlage war.

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