29.10.2014

SURF BERLIN oder "Die letzte deutsche Welle"

Es gibt sie noch - die echten Freaks. Die ihre Träume leben und alles für eine Idee geben. Einer von diesen krassen Typen ist der aus Santa Cruz / Kalifornien stammende und in Berlin lebende Surfer Ira Mowen. Und er hat einen Traum...

"I'am a surfer in Berlin - what am I doing...?!", teasert Ira Mowen sich selbst in seinem Trailer an. Die Frage ist berechtigt. Der kauzige Projektanschieber, Filmemacher und Lebenskünstler will nämlich nichts geringeres als "die letzte deutsche Welle einfangen". Und hat dazu eine Kampagne bei Kickstarter ins Leben gerufen, Projektname: "Surf Berlin - The Quest For The Last German Wave".



Moment, wie jetzt?! Surfen, Berlin? Letzte deutsche Welle?? Beim Blick in den Trailer wird schnell klar: Ira Mowen ist der akut vom Ausstrerben bedrohten Warnemünder Fährwelle verfallen. Per Zufall entdeckte er von der Mole aus ein einsames 'Musterexemplar' und war verwundert, warum sich niemand dafür interessiert geschweige denn auf ihr reitet... (was ja so nicht ganz stimmt, denn die bis zu 1,50 m hohe Welle im Kielwasser der Dänemarkfähren hat es durchaus schon zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Sie gilt seit einigen Jahren als Geheimtipp in der Surferszene. Sogar die ZEIT und Deutschlandfunk haben berichtet...)  

Surf-Freak Ira Mowen will die letzte Fährwelle reiten. Foto: SURF BERLIN

 
Zurück in Berlin begann Ira Mowen nachzuforschen. Er erfuhr, dass es diese Welle nicht mehr ewig geben wird. Stellt sie doch das unwirtschaftliche 'Abfallprodukt' der völlig überalterten Scandlines-Fähren zwischen Rostock und Gedser (Dänemark) dar. Längst hätten sie schon außer Dienst gestellt und gegen neuere Modelle ausgetauscht werden sollen. Wellen sind pure Energie und Schiffe die solche Wasserberge verursachen quasi Energieverschwender. Ergo: Wenn die neuen Fähren kommen, werden sie keine bzw. kaum noch Wellen nach sich ziehen.

Bereits im vergangenen Jahr sollten moderne Fähren die alten Spritfresser ersetzen, aber die in Stralsund konzipierten Schiffe BERLIN und KOPENHAGEN waren in Dimensionen übergewichtig. Bis heute sind sie nicht fertiggestellt (hier die komplette Story). Es ist die Geschichte um das äußerst unrühmliche Ende der Stralsunder P+S (Volks)Werft. Das Drama drehte sich um Fördermittel, Arbeitsplätze, Führungsfehler und führte letztlich in die Insolvenz.

So verrichten die mehr als 30 Jahre alten hydrodynamischen Dinosaurier PRINS JOACHIM und KRONPRINS FREDERIK vorerst weiter ihren unökonomischen Dienst auf der Ostsee. In der Hauptsaison läuft alle zwei Stunden eine von beiden nach Warnemünde ein. Mit ihnen ein Satz archaischer Heckwellen, die sich in Abhängigkeit von Schiffsgewicht, -geschwindigkeit und Wetterlage mal mehr oder weniger stark ausprägen, sobald sie in Richtung Strand rollen und im flacher werdenden Wasser beginnen zu brechen.

Wenn die Welle den Strand erreicht, ist die Fähre längst verschwunden. Foto: SURF BERLIN

 
Ein ziemlich skurriler Effekt, vor allem bei ruhiger See. Grandios zu beobachten im Hochsommer am belebten Strand, wenn ortsunkundige Mütter kreischend ihre Kleinkinder vom Spülsaum reißen, weil sich wie aus dem Nichts eine Serie kraftvoller Wellen geräuschvoll in den Buhnen entlädt. Die Fähre ist dann schon längst hinter den Molenköpfen verschwunden und die Urlauber-Mamas wissen in der Regel nicht wie ihnen geschah. (Immer wieder ein Fest, den dann folgenden Spekulationen über die Wellenursache in unterschiedlichen süddeutschen Dialekten zu lauschen...)

Leidenschaftliche Surfer wie Ira Mowen dagegen wissen nicht nur um die Welle, sie bereiten sich regelrecht darauf vor. Es gibt nunmal nur diesen einen Versuch, vielleicht fünf oder sechs Wellen zur Auswahl in kurzer Folge. Danach ist wieder für zwei Stunden Pause. Seit er sie zum ersten Mal sah, hat Ira Mowen es nach eigenen Angaben über 150 Mal versucht (6 Monate lang, im Winter!). Damit dürfte er locker mit einigen einheimischen Surfern konkurrieren. Doch darum geht es ihm gar nicht. Er weiß um die Endlichkeit dieser "letzten deutsche Welle". Und er will das allerletzte surfbare Exemplar erwischen, er will diesen historischen Moment "einfangen". Oder zumindest der letzte sein der darauf gesurft ist. Wann genau das stattfindet ist unklar. Aber eins scheint sicher: der Countdown läuft.

Es ist schon etwas eigentümlich. Ira Mowen erwähnt in seinen Trailern und Projektbeschreibungen nicht ein einziges Mal 'Warnemünde' oder 'Rostock'. Stattdessen spricht er davon, dass er eine Welle "outside of the city" entdeckt hat. Er spricht vom "huge ship that passed by this little harbour...". Erinnert unterschwellig an das geografische Grundverständnis amerikanischer Kreuzfahrttouristen, die ja auch nicht etwa in Rostock oder Warnemünde, sondern vielmehr im "Harbour of Berlin" anlegen. Der US-Masstab als Stereotyp - was bedeutet da schon so ein läppischer "two-hours-ride"?! Wobei Ira sich nicht mit dem Sonderzug, sondern mit seinem S50-Zonen-Moped auf den Weg aus der Hauptstadt an die Küste macht.



Aber wann ist es soweit? Wann wird "the last German wave" an den Berliner Strand rollen? Die in Stralsund viel zu schwer konstruierten neuen Fähren werden derzeit bei Fayard in Dänemark umgebaut. Mit einem konkreten Ausliefertermin halten die Beteiligten sich verständlicherweise bedeckt. In Regierungskreisen spricht man derzeit vom "Frühsommer 2015" als Einsatzziel.

Waiting for the last German wave...
Ira Mowen müsste dann quasi in den letzten Wochen mit den alten Schiffen auf Standby bleiben. Er will sie fangen, die letzte surfbare Welle, unbedingt! Nicht nur auf seinem Board, auch mit der Kamera. Dazu braucht er ein Drehteam, das sich mit ihm auf die Lauer legt, eine Art Shorecrew. Und das Ganze von Berlin aus. Das kostet. Nicht nur Zeit, auch Geld. Entstehen soll eine Art Dokfilm. Ira hat schon ein paar ungewöhnliche Sachen abgedreht, u.a. das ebenso schräge Balloon Chase Project. Jetzt also die Welle. Für sowas gibt's Crowdfunding: die Masse finanziert mit vergleichsweise geringen Beträgen ein Projekt. Oder auch nicht. Für SURF BERLIN sollen so bis zum 22.12. insgesamt 40.000 US-Dollar zusammenkommen. Ob's klappt?    

Ira Mowen - SURF BERLIN
So oder so - wer die Augen offen hält, dürfte in den nächsten Monaten an der Warnemünder Mole ab und an einen bärtigen Surfer sehen, wie er sehnsüchtig auf die nächste Fähre aus Gedser wartet.

Er tut es auch im Winter. Sein Projekt heißt SURF BERLIN. Und er hat einen Plan. Wenn einer um die Endlichkeit der Warnemünder Fährwelle weiß, dann er. Dieser kalifornische Surfbesessene aus der Bundeshauptstadt.


Tja; was wäre die Welt ohne Freaks? Durch Ira Mowen bekommt sie zumindest einen Dokumentarfilm über eine aussterbende Welle in Deutschland. Hoffentlich.

SURF BERLIN - THE QUEST FOR THE LAST GERMAN WAVE

2 Kommentare:

  1. Cooler Dude, hab ihn grad zum Cafe im Surfshop eingeladen...mal sehen ob er sich blicken lässt!

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  2. Amerikaner ... die glauben alles entdeckt, erobert, erfunden zu haben. Aber diese Welle bestimmt nicht. Er beleidigt alle anderen, die schon längst vor ihm da waren. Schönen Gruß aus Warnemünde.
    P.S. Aber etwas Gutes hat es ja, wenn die Fähre leider stirbt. Typen wie er verschwinden dann auch.

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